1 00:00:00,500 --> 00:00:02,633 Das ist die erste Amploniana-Handschrift, 2 00:00:02,633 --> 00:00:05,000 die im Stadtmuseum gezeigt werden wird. 3 00:00:05,000 --> 00:00:07,800 Es ist eine Handschrift der Bibliotheca Amploniana. 4 00:00:07,800 --> 00:00:11,100 Amplonius hat im 15. Jahrhundert Bücher gesammelt, 5 00:00:11,100 --> 00:00:13,533 die er auch häufig selbst hat einbinden lassen. 6 00:00:13,600 --> 00:00:17,400 Und dieses ist ein ganz typischer Einband aus seiner Zeit. 7 00:00:17,500 --> 00:00:20,000 Er hat oft Halblederbände in Auftrag gegeben. 8 00:00:20,000 --> 00:00:25,833 Das bedeutet, es ist eine Handschrift, die einen Buchenholzdeckel hat, 9 00:00:25,833 --> 00:00:28,600 der dann mit Ziegenleder, mit rotem Ziegenleder 10 00:00:28,600 --> 00:00:30,500 in diesem Fall, überzogen wurde. 11 00:00:30,500 --> 00:00:36,900 Und sie hat Langriemen-Schließen, die die Handschrift zuhalten. 12 00:00:36,900 --> 00:00:39,600 In diesem Fall ist die Handschrift restauriert worden. 13 00:00:39,600 --> 00:00:43,333 Man sieht es leider: Die Schließen selber sind ergänzt worden, 14 00:00:43,333 --> 00:00:47,600 der Rücken ist ergänzt worden, aber das Holz ist noch im Original. 15 00:00:47,600 --> 00:00:50,833 Und auch Teile des Bandes wurden wieder aufgeklebt. 16 00:00:50,900 --> 00:00:53,500 Es handelt sich um eine naturphilosophische Handschrift. 17 00:00:53,500 --> 00:00:56,833 Darin sind Texte gesammelt, hauptsächlich von Aristoteles, 18 00:00:56,900 --> 00:01:01,233 wo es um naturphilosophische Themen geht, zum Beispiel über das Schlafen und Wachen, 19 00:01:01,233 --> 00:01:04,733 über Mineralien, über die Natur. 20 00:01:04,733 --> 00:01:07,300 Beobachtungen, die Aristoteles gemacht hat und 21 00:01:07,300 --> 00:01:10,533 in seine Philosophie hat einfließen lassen. 22 00:01:11,900 --> 00:01:14,600 Wenn wir die Handschrift aufschlagen, haben wir erst einmal 23 00:01:14,600 --> 00:01:16,933 unsere Benutzerzettel, die wir leider immer 24 00:01:16,933 --> 00:01:19,433 eingeklebt haben in die Handschrift, 25 00:01:19,533 --> 00:01:24,900 und auch den Auszug aus dem Katalog von 1887 von Wilhelm Schum. 26 00:01:25,000 --> 00:01:29,133 Aber dann geht es los mit den Pergamentseiten. 27 00:01:29,233 --> 00:01:32,300 Hier sieht man, dass es ein altes und nicht sehr 28 00:01:32,300 --> 00:01:36,133 hochwertiges Pergament ist, das sehr verfärbt ist. 29 00:01:36,200 --> 00:01:40,100 Aber dann beginnt der Text. 30 00:01:40,200 --> 00:01:47,800 Schon auf der ersten Textseite sieht man schöne Verzierungen 31 00:01:47,800 --> 00:01:50,866 in Rot und Blau. 32 00:01:50,866 --> 00:01:52,800 Man sieht auch Löcher im Pergament. 33 00:01:52,800 --> 00:01:57,133 Das war für die mittelalterlichen Buchmacher 34 00:01:57,200 --> 00:01:59,700 gar nicht der Punkt, ob das ein Loch hatte 35 00:01:59,700 --> 00:02:03,733 oder auch am Rand vielleicht etwas angestoßen war. 36 00:02:03,800 --> 00:02:07,100 Hier sieht man schon eine schöne Zeichnung, 37 00:02:07,200 --> 00:02:10,533 die eigentlich nicht zur Buchausstattung gehörte, 38 00:02:10,533 --> 00:02:12,033 wahrscheinlich nachträglich eingefügt wurde, 39 00:02:12,033 --> 00:02:15,533 aber auch in den Farben Rot und Blau. 40 00:02:15,533 --> 00:02:18,433 Und hier kommt die erste der 16 Initialen. 41 00:02:18,433 --> 00:02:21,033 Das Buch ist reich verziert mit Initialen. 42 00:02:21,033 --> 00:02:25,200 Jede Initiale ist aus Gold gemacht. 43 00:02:25,200 --> 00:02:31,200 Was an der Handschrift auffällig ist, ist der breite Rand. 44 00:02:31,200 --> 00:02:35,100 Man hat viel Platz gelassen um den Text herum, 45 00:02:35,100 --> 00:02:40,733 um dem Leser Anmerkungen und Notizen zu erlauben. 46 00:02:40,733 --> 00:02:46,633 Und hier ist der Haupttext und auch am Rand schon eine Glosse. 47 00:02:49,900 --> 00:02:52,800 Wir haben die Initialen, die Goldinitialen, 48 00:02:52,800 --> 00:02:56,733 immer mit einem besonders feinen Japan-Papier geschützt, 49 00:02:56,800 --> 00:03:00,833 das aber nur eingelegt und nicht eingeheftet ist. 50 00:03:02,400 --> 00:03:07,233 Auf dieser Seite sind besonders viele Anmerkungen gemacht worden. 51 00:03:07,233 --> 00:03:10,933 Und hier oben die Überschriften: in Großbuchstaben, 52 00:03:10,933 --> 00:03:14,600 auch in Rot und Blau, mit vielen Abkürzungen. 53 00:03:14,700 --> 00:03:17,500 Ich gehe mal weiter nach hinten in der Handschrift. 54 00:03:17,500 --> 00:03:22,000 Man merkt bei ihr: Es gibt auch andere 55 00:03:22,000 --> 00:03:25,200 nachträgliche Ergänzungen, wie solche Diagramme. 56 00:03:25,300 --> 00:03:29,600 Das sind meistens theoretische Texte, 57 00:03:29,600 --> 00:03:33,000 die in Form gefasst wurden. 58 00:03:34,700 --> 00:03:39,500 Hier wieder eine sehr schöne Goldinitiale. 59 00:03:39,600 --> 00:03:42,100 Und je weiter man nach hinten geht, 60 00:03:42,100 --> 00:03:45,733 desto schlechter wird die Pergamentqualität. 61 00:03:45,800 --> 00:03:49,800 Es wird dicker, man sieht mehr die Pergamentstruktur. 62 00:03:49,833 --> 00:03:52,200 Es ist oft nachgedunkelt. 63 00:03:52,200 --> 00:03:57,200 Und es sind Randstücke verwendet worden, wie hier. 64 00:03:57,300 --> 00:04:00,833 Aber da Pergament sehr teuer war, musste man auch alles verwenden – 65 00:04:02,433 --> 00:04:05,433 Obwohl die Handschrift so reich verziert ist. 66 00:04:05,433 --> 00:04:08,900 Ganz zum Schluss hat man sich noch Buchschmuck vorgenommen, 67 00:04:08,900 --> 00:04:13,100 ihn dann aber nicht mehr ausgeführt. 68 00:04:14,700 --> 00:04:17,600 Auch Fragmente sind noch mit eingeheftet. 69 00:04:17,600 --> 00:04:20,200 Hier ist ein Blatt zerstört gewesen 70 00:04:20,200 --> 00:04:24,133 und in der Restaurierung angesetzt worden. 71 00:04:24,200 --> 00:04:26,800 Und solche Dinge wurden im Restaurierungsbericht 72 00:04:26,800 --> 00:04:34,300 aus den 80er Jahren dann auch vermerkt, der hier eingeklebt ist. 73 00:04:34,400 --> 00:04:36,700 Das Blatt, das wir jetzt im Stadtmuseum zeigen, 74 00:04:36,700 --> 00:04:40,933 ist der Beginn des zweiten Buches der Aristoteles-Schrift 75 00:04:40,933 --> 00:04:42,900 von Schlafen und Wachen. 76 00:04:43,000 --> 00:04:47,000 Und deshalb ist hier die Initiale, der Textbeginn, 77 00:04:47,100 --> 00:04:51,100 reich verziert, mit Blattgold, glitzernd. 78 00:04:51,133 --> 00:04:56,500 Und darin zu sehen ist, dass ein Schlafender im Traum 79 00:04:56,600 --> 00:04:58,800 die vier Evangelisten sieht. 80 00:04:58,800 --> 00:05:02,533 Sie sind dargestellt durch die Symbole Mensch oder Engel, 81 00:05:02,633 --> 00:05:05,633 Löwe, Stier und Adler. 82 00:05:05,700 --> 00:05:10,300 Sie stehen für Matthäus, Markus, Lukas und Johannes, die vier Evangelisten. 83 00:05:10,400 --> 00:05:13,600 Im Text geht es um Schlafen und Wachen. 84 00:05:13,633 --> 00:05:17,400 Aber von den vier Evangelisten ist nicht die Rede, weil Aristoteles, 85 00:05:17,400 --> 00:05:21,100 der im vierten Jahrhundert vor Christus gelebt hat, 86 00:05:21,200 --> 00:05:26,000 die Evangelisten als christliche Symbole natürlich noch nicht kannte. 87 00:05:26,100 --> 00:05:31,800 Die Seite ist mit reichlich Platz ausgestattet. 88 00:05:31,800 --> 00:05:35,833 Man hat den Haupttext in der Mitte gut platziert, 89 00:05:35,833 --> 00:05:40,500 in einer etwas größeren gotischen Minuskel. 90 00:05:40,500 --> 00:05:44,400 So nennt man diese Schrift aus der Zeit des 13. Jahrhunderts. 91 00:05:44,400 --> 00:05:48,700 Am Rand sind Anmerkungen von Lesern gemacht worden. 92 00:05:48,800 --> 00:05:51,633 Und es ist noch viel Platz gelassen worden, 93 00:05:51,633 --> 00:05:56,100 um weitere Anmerkungen von späteren Lesern zu ermöglichen. 94 00:05:56,100 --> 00:05:58,400 Wir sind natürlich froh, dass wir heute nicht mehr 95 00:05:58,400 --> 00:05:59,733 in die Bücher reinschreiben, 96 00:05:59,800 --> 00:06:02,033 aber im Mittelalter war das üblich. 97 00:06:02,033 --> 00:06:04,300 Man hat auch zwischen die Zeilen geschrieben, 98 00:06:04,300 --> 00:06:07,100 sogenannte Interlinear-Glossen.