In der Feuerkette der Epoche
Die Lesung ausgewählter Gedichte wird von Kompositionen für Violine und Gesang begleitet
Gertrud Kolmar wurde am 10. Dezember 1894 in Berlin als Gertrud Käthe Chodziesner geboren. Ihr Vater Ludwig Chodziesner war einer der bekanntesten Anwälte im Deutschland der Kaiserzeit und der Weimarer Republik. Nach dem Lyzeum besuchte sie eine land- und hauswirtschaftliche Frauenschule und studierte zunächst Russisch, später Englisch und Französisch. Für ihren ersten, im Jahr 1917 erschienenen Lyrik-Band Gedichte wählte sie als Pseudonym den Namen der väterlichen, einst polnischen, später zur preußischen Provinz Posen gehörenden und von Chodziesen in Kolmar umbenannten Geburtsstadt.
1928 erkrankte ihre Mutter Elise schwer und starb 1930. Gertrud Kolmar, die nun für ihren Vater in der Familienvilla in Falkensee den Haushalt führte und als seine Sekretärin arbeitete, blieb seinetwegen nach der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland. Ihre drei jüngeren Geschwister emigrierten und konnten so ihr Leben retten.
Gertrud Kolmars Cousin von der mütterlichen Seite war Walter Benjamin, er verhalf ihr Ende der 1920er Jahre zur Publikation einzelner Gedichte in literarischen Zeitschriften und Anthologien. 1934 wurde ihr zweiter Gedichtband Preußische Wappen im Verlag Rabenpresse publiziert. Der Verlag wurde daraufhin vom Börsenverein des deutschen Buchhandels auf eine Liste unerwünschter Verlage gesetzt. Ab 1936 durfte die Lyrikerin nicht mehr unter ihrem Pseudonym Kolmar veröffentlichen, sondern nur noch unter ihrem Geburtsnamen Chodziesner. Ihr dritter Gedichtband Die Frau und die Tiere erschien im August 1938 im Jüdischen Buchverlag E. Löwe. Nach den Pogromen am 9./10. November 1938 wurde dieser wie andere jüdische Buchverlage aufgelöst. Im selben Monat wurde die Familie Chodziesner zum Verkauf ihrer Villa und zum Umzug in ein „Judenhaus“ in Berlin-Schöneberg gezwungen.
Ab Juli 1941 musste Gertrud Kolmar in Berlin Zwangsarbeit in der Rüstungsindustrie leisten, nachts schrieb sie an ihren Gedichten. Am 9. September 1942 wurde Ludwig Chodziesner nach Theresienstadt deportiert, wo er am 13. Februar 1943 starb. Gertrud Kolmar wurde am 27. Februar 1943 im Verlauf der sog. Fabrikaktion verhaftet und am 2. März 1943 mit etwa 1.500 Berliner Jüdinnen und Juden in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert, wo sie vermutlich noch am selben Tag in der Gaskammer ermordet wurde.
Vor ihrer Deportation hatte sie ihre Manuskripte – die meisten ungedruckt – bei ihrer Schwester in der Schweiz in Sicherheit bringen können. Nach 1945 aus dem Nachlass veröffentlicht, begründeten diese Texte Gertrud Kolmars Ruhm als eine der herausragendsten deutschsprachigen Lyrikerinnen des 20. Jahrhunderts. Nach eher konventionellen Anfängen hatte sie vor allem ab Ende der Zwanzigerjahre zu einem eigenen unverkennbaren, von großer sprachlicher Virtuosität und Expressivität geprägten Ton gefunden.
In einem Gedicht bat sie künftige Leserinnen und Leser:
„Du hältst mich in den Händen ganz und gar. // Mein Herz wie eines kleinen Vogels schlägt / In deiner Faust. Der du dies liest, gib acht; / Denn sieh, du blätterst einen Menschen um.“
Die Lesung ausgewählter Gedichte wird von Kompositionen für Violine und Gesang begleitet, die Gertrud Kolmars Gefühle der Melancholie und des Hoffens teilen. Sie schaffen eine emotionale Verbindung zu Kolmars Texten, die von der tiefen inneren Welt der Lyrikerin zeugen und das Leid und die Schönheit ihrer Erfahrungen und Gedanken widerspiegeln. Als Höhepunkt singt Marion Minkus das von ihr vertonte Gedicht „Die Unerschlossene“.