Andreas Hechler: Vortrag "Diagnosen von Gewicht. Innerfamiliäre Folgen der Ermordung meiner als 'lebensunwert' diagnostizierten Urgroßmutter"

30.10.2020 18:30

"Mit Scham zu begründen, dass die Angehörigen die Nennung der Namen ihrer ermordeten Vorfahren/-innen nicht wollten, de-thematisiert die Verhältnisse, die die Scham hervorrufen."

Video: Andreas Hechler: Diagnosen von Gewicht © Stadtverwaltung Erfurt

Emilie Rau, die Urgroßmutter von Andreas Hechler, wurde 1891 in Alsfeld geboren, heiratete 1912 den Polizeisekretär Christian Rau und bekam vier Kinder mit ihm. Ab 1931 litt sie an Depressionen und kam Ende des Jahres erstmals für einige Wochen in die Universitätsnervenklinik Frankfurt am Main. Bis 1941 folgten weitere Klinik- und Anstaltsaufenthalte. Am 21. Februar 1941 wurde sie von der Anstalt Eichberg mit einem Sammeltransport in die Tötungsanstalt Hadamar verlegt und noch am selben Tag sie dort in der Gaskammer ermordet.

Im Gegensatz zu vielen anderen Opfern der "Euthanasie"-Verbrechen im Nationalsozialismus ist über die Ermordung von Emilie Rau viel bekannt. In wissenschaftlichen Publikationen und pädagogischen Materialien wird ihre Geschichte oft erzählt. Ihre Tochter Marie Hechler, die Großmutter von Andreas Hechler, hat ihr ganzes Leben um das Andenken an ihre Mutter und die öffentliche Anerkennung der "Euthanasie"-Opfer gekämpft. Der Mord von Emile Rau war, anders als in vielen anderen Familien, damit kein Tabuthema. Dennoch sind die Folgen des Verbrechens für die Familie bis heute spürbar.

Andreas Hechler spricht in seinem Vortrag darüber, welche Folgen der Mord an seiner Urgroßmutter für seine Familie hatte und hat und wie mit ihrer Ermordung gesellschaftlich umgegangen wurde und wird. Er zeigt auf, wie die Diagnose "lebensunwert" die ganze Familie bis mindestens in die vierte Generation prägt. Dabei thematisiert er nicht nur innerfamiliäre Tradierungen, Umgangsweisen und Folgen, sondern auch gesamtgesellschaftliche Prozesse und kritisiert den fortdauernden Ableismus in der Gesellschaft.